Wie du deine Gefühle besser verstehen kannst

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Fühlen lernen

„Wie geht es dir?“

Diese Frage wird uns unzählige Male in unserem Leben gestellt. Das ist im Grunde recht erstaunlich, wenn man bedenkt, dass die Antworten meist einsilbig sind: gut, okay, geht so, schlecht. Detaillierter wird es oft nicht. Diese Aussagen sind bestenfalls ungenau und im schlechtesten Fall unwahr. Das mag zum einen daran liegen, dass die Frage nicht immer mit ernsthaftem Interesse gestellt wird. Zum anderen wissen aber viele Menschen tatsächlich nicht, wie es ihnen geht.

Nimm dir mal einen Moment Zeit und schließ die Augen. Wie fühlst du dich gerade? Kannst du konkrete Gefühle benennen? Wie machen sie sich bemerkbar? Spürst du sie an bestimmten Stellen deines Körpers?

Wenn dir bei dieser Übung erstmal nicht viel einfällt, dann bist du nicht allein. Emotionale Intelligenz ist in unserer Gesellschaft eine viel zu wenig geförderte Fähigkeit. Dabei ist sie der größte Garant für befriedigende Beziehungen jeglicher Art.

Eine kleine Anmerkung zu Beginn: Die Worte Gefühle und Emotionen werden in der Umgangssprache gleichbedeutend verwendet. In der Wissenschaft werden diese Konzepte teilweise voneinander unterschieden, wobei auch hier Uneinigkeit bezüglich der Definitionen herrscht. In diesem Artikel verwenden wir die Begriffe gleichwertig, da die Unterscheidung im Kontext des Fühlen-Lernens wenig Bedeutung hat.   

Gefühle sind Informationen

Es hält sich hartnäckig der Mythos, dass Emotionen uns „irrational“ machen und daher kontrolliert und unterdrückt werden müssen. Das ist eine extrem verkürzte Sicht der Dinge. Menschen können keine gefühlsbefreiten Entscheidungen treffen. Und das sollten sie auch nicht. Gefühle sind Informationen. Gefühle, Gedanken und Verhalten hängen unmittelbar miteinander zusammen und bedingen einander. Nur wenn wir unsere Emotionen und ihre Auslöser kennen, können wir wirklich informiert und reflektiert handeln.

Ohne dieses Bewusstsein ist es, als würdest du Autofahren ohne Landkarte und ohne zu wissen, was Gas und was Bremse ist. Du biegst also wahllos rechts und links ab, fährst mal zu schnell und mal zu langsam und landest am Ende irgendwo, wo du nie hinwolltest.

Emotionale Kartografie – Wie lerne ich fühlen?

Als erste Komponente der emotionalen Intelligenz gilt die Fähigkeit, eigene Gefühle zu erkennen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass dies erlernbar ist. Wir alle können trainieren, unsere Gefühle besser und exakter wahrzunehmen. Wir können uns eine emotionale Landkarte zeichnen und diese immer detailreicher ausgestalten. Hier sind ein paar Tipps, um die emotionale Kartografie ins Rollen zu bringen.

5 Tipps im Umgang mit Gefühlen

  1. Vokabeln: Sicher hast du schon einmal bemerkt, dass dir Gefühle erst dann richtig bewusst werden, wenn du darüber sprichst oder wenn du sie aufschreibst. Sprache ist ein unermesslich wichtiges Werkzeug bei der Gefühlserkundung. Sie hilft uns, Emotionen einzuordnen und zu verstehen. Doch die meisten von uns begnügen sich mit den immer gleichen Gefühlswörtern. Das wird unserer reichen Gefühlswelt nicht gerecht und verhindert, dass wir uns und andere wirklich verstehen. Deshalb müssen mehr Vokabeln her. Spezifische und fein abgestufte Wörter für Gefühle sind immens wertvoll – ein wahrer Wortschatz eben. Finde und nutze diese Wörter. Im Internet gibt es zahlreiche Listen und Grafiken dazu. Zusätzlich kannst du dir selbst eine Liste erarbeiten, indem du alle Emotionswörter, die du liest oder hörst, aufschreibst.  

  2. Zuhören: Eine solche eigene Liste spornt dich außerdem an, empathisch zuzuhören. Ermutige andere dazu, ihre Gefühle genau zu benennen und zu beschreiben. Frag nach und versuche, sie wirklich zu verstehen. Das hilft euch beiden.

  3. Achtsamer Check-In: Achtsamkeit bezeichnet den Akt des Im-Moment-Seins und des Wahrnehmens ohne Beurteilung. Nimm dir ein paar mal pro Tag Zeit für einen achtsamen Check-In mit dir selbst. Dreh deine Aufmerksamkeit nach innen und versuche wahrzunehmen, was da ist.  Geh gedanklich deinen Körper von den Zehenspitzen bis zum Haaransatz entlang und achte auf alles, was du spürst, ohne eine Bewertung vorzunehmen. Benenne möglichst genau, was du fühlst. Sind deine Füße warm, kalt, schwitzig, entspannt, angespannt, kribbelig etc.? So trainierst du deinen sogenannten Felt-Sense. Dein Spürbewusstsein im Körper. Wenn du noch einen Schritt weiter gehen möchtest, könntest du auch die Frage stellen: “Wenn dieses Körperteil sprechen könnte, was würde es mir sagen wollen?” Hier können manchmal sehr klare Antworten kommen, die dir wertvolle Einsichten über deine Gefühlslage geben können.

  4. Aufschreiben: Die Wirkung solcher Check-Ins lässt sich weiter verstärken, indem du aufschreibst, was du spürst. Such dir Wörter aus deiner Wortschatzliste. Geh sie so lange durch, bis du etwas findest, was passt. Oft passt auch mehr als ein Wort, denn wir fühlen selten nur eine einzige Emotion. Zusätzlich kannst du aufschreiben, was vorher passiert ist, sowohl in deiner Umwelt als auch in deinem Kopf. Das kann dir Aufschluss darüber geben, woher die Gefühle kamen. Der Zusammenhang zwischen Gedanken, Gefühlen und Verhalten wird so über die Zeit klarer.

  5. Kommunizieren: Sprich über deine Gefühle. Mit deiner Partnerin¹, deinem Freund, deinen Kolleg*innen, deiner Familie, etc. Nutze die Gelegenheit, wenn dich jemand fragt, wie es dir geht. Auch wenn die Person keine wirkliche Antwort erwartet, betrachte es als Übung und sag zum Beispiel „ausgeglichen und neugierig“ statt einfach nur „gut“. Wer weiß, vielleicht entsteht daraus sogar ein tieferes Gespräch.

Wenn du merkst, dass dir oder deinem Partner der Umgang mit Gefühlen schwer fällt und du nicht weiter weißt, dann kannst du hier eine kostenlose Erstberatung mit einem unserer Coaches vereinbaren.

Alle Gefühle sind willkommen 

Zur emotionalen Intelligenz gehört auch die Bereitschaft, alle Gefühle zu akzeptieren. Denn es gibt keine „guten“ und „schlechten“ Gefühle. Manche sind unangenehm, manche angenehm, manche intensiv, manche schwach. Alle sind willkommen. Auch unangenehme Gefühle sind nützlich und wertvoll. Sie können zum Beispiel signalisieren, dass wir etwas ändern sollten. Gib deinen unangenehmen Gefühlen also Raum, anstatt sie zu unterdrücken. Ironischerweise hilft diese Herangehensweise auch dabei, solche Gefühle nicht überzubewerten. Wenn du sie als Teile deiner Landkarte integrierst, werden sie sichtbar und dadurch weniger bedrohlich. 

Weiterer Nebeneffekt am Fühlen und Durchleben unangenehmer Gefühle ist, dass du dich insgesamt glücklicher und leichter fühlen wirst. Das klingt paradox, ist aber so. Indem du nämlich auch schwere Gefühle zulässt, wird auf einmal viel Energie frei, die du sonst bräuchtest, um diese zu unterdrücken. Das heißt, sobald du dein Gefühlsspektrum in die eine Richtung erweiterst, wird es sich automatisch auch in die andere erweitern – und dein Leben bereichern.

Diversität ist gesund: in der Gesellschaft, in der Natur und in unserer Gefühlswelt. Menschen, die ein breites Spektrum an Gefühlen erleben und differenziert beschreiben können, zeigen erwiesenermaßen mehr psychisches und physisches Wohlbefinden, auch weil sie glücklichere Beziehungen führen

Buchempfehlung zum Weiterlesen: “How Emotions Are Made” von Lisa Feldman Barrett


¹ Im Sinne der besseren Lesbarkeit wird die männliche oder weibliche Form gewählt. Fühl dich unabhängig davon bitte angesprochen, wo es dich betrifft.

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