Regeln für Polyamorie? Die 7 Prinzipien einer polyamoren Beziehung

Gerade am Anfang, wenn Paare über eine Öffnung nachdenken, wird die Frage nach geeigneten Regeln für eine offene oder polyamore Beziehung häufig gestellt. Das ist nachvollziehbar und auch sinnvoll, denn der Austausch über Regeln hilft beim Sprechen und er gibt ein Gefühl von Sicherheit. Allerdings sind zwei Dinge hierbei wichtig: Erstens sind Regeln nicht ein für alle Mal gültig. Sie müssen immer wieder neu besprochen und verändert werden. Denn das Leben verändert sich. Bedürfnisse verändern sich und was für das eine Paar als kluge Regel hilft, ist dem anderen Paar eine unpassende Einschränkung. Zweitens warne ich davor, die Schutzfunktion von Regeln für offene oder polyamore Beziehungen zu überschätzen. Denn Regeln sind so lange sinnvoll, solange sie nicht wirklich benötigt werden. Eines Tages wird eine Regel gebrochen werden und dann ist es viel zentraler, welche Dialogkultur ein Paar etabliert hat und welche Werte ihr Handeln bestimmt. Wichtiger als Regeln sind daher grundsätzliche Prinzipien, nach denen sich ein Paar auf der Suche nach dem eigenen stimmigen Beziehungsmodell orientieren kann.

1. Eine Glückliche Beziehung ist Voraussetzung, um eine Beziehung zu öffnen

Die wichtigste Voraussetzung für eine glücklich verlaufende Öffnung, ist eine gute Beziehung. Es klingt trivial, ist aber leider ein viel zu oft übersehener Fakt. Eine Öffnung bringt ein Paar zwangsläufig unter Druck. Die Sollbruchstellen werden sichtbar und dysfunktionale Elemente der Paarbeziehung werden zum gewaltigen Störfaktor, Beziehungsprobleme werden sichtbar. Häufig wollen Paare die Beziehung öffnen, weil sie unglücklich in ihrer Beziehung sind. Dies wird aber in der Praxis nicht gelingen. Erst kommt eine glückliche Beziehung, dann kann die Öffnung als Bonbon dazukommen. Die erste Übung ist also: Legt miteinander fest: Was tun wir für unser gemeinsames Glück? Wie wollen wir unsere Beziehung aktiv und lebendig halten? Das ist das, was ich als Couple Care bezeichne.

2 Ehrlichkeit und Mut

Jeder von uns hat gelernt zu lügen. Manchmal sind Lügen sinnvoll, manchmal schützen sie uns oder andere, manchmal verletzen sie. Es geht hier nicht um eine moralische Frage. Es geht um etwas anderes: Durfte ich im Laufe meines Lebens lernen, meine Gefühle und Gedanken auszusprechen, so wie ich sie situativ wahrnehme? In welchem Maße muss ich mich selbst belügen, weil ich sonst meine inneren Diskrepanzen nicht aushalte? Wie geübt bin ich darin, mir selbst gegenüber ehrlich zu sein? Und kann ich mich mit allem, was da in mir ist, einem anderen anvertrauen oder befürchte ich sofort bewertet oder abgelehnt zu werden? Wenn ihr euch in eurer Beziehung etwas richtig Gutes schenken wollt, dann schenkt euch einen Raum, um innerlich ehrlich zu werden. Hört auf, euch selbst oder gegenseitig zu verurteilen, schaut neugierig und offen dorthin, wo sich das Leben abspielt. Innen drin. Tatsächlich beginnt Ehrlichkeit in Beziehung in jedem Einzelnen von uns und es ist eine große Aufgabe, sich selbst gegenüber ehrlicher zu werden. Dabei geht es nicht zentral um die Frage, wieviel sollten Paare miteinander teilen und darf es Geheimnisse geben? Es geht vielmehr um die Frage: was brauche ich, um zu mir selbst und meinen Wünschen zu stehen und im gemeinsamen Dialog herauszufinden, wie wir unsere Bedürfnisse gemeinsam und verbindungsvoll leben können.  

3. Entwicklungsbereitschaft und Verantwortung für glückliche Beziehungen 

Die radikalste Veränderung, die ich bei mir selbst und anderen Menschen jemals wahrgenommen habe, ist die Übernahme von Verantwortung für die eigenen Gefühle. Egal was passiert, du bist immer verantwortlich dafür, wie du dich dazu verhältst und welche Gefühle dein Gehirn für dich produziert. Umgekehrt kannst du dich auf den Kopf stellen: Du hast niemals wirklich einen Einfluss darauf, welche Gefühle dein Partner oder deine Partnerin in einer Situation erlebt. 

Wenn wir das verstehen, dann ändert sich unserer Beziehungsleben radikal. Denn dann können wir uns nicht gegenseitig beschuldigen und die Verantwortung für unser Wohlgefühl an jemand anderen abgeben. Dann müssen wir selbst ins Handeln kommen und Entscheidungen so treffen, dass sie Gutes bewirken. Für uns und für andere.  

Ich brauche also die Bereitschaft, mich zu entwickeln und die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass meine eigene Gefühl- und Gedankenproduktion positiver und wohlwollender wird. Je weicher und innerlich flexibler ich bin, umso adäquater werden meine Verhaltensweisen.

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4. Einvernehmen herstellen und Grenzen achten

Grundsätzlich dient der Dialog dazu, dass ihr euch über das einigt, was ihr gemeinsam ausprobieren wollt. Ihr müsst nicht dasselbe wollen. Es reicht, wenn ihr jeweils für das formulierte Bedürfnis eine Lösung sucht. Das bedeutet, dass ich grundsätzlich mal bereit bin nach einer möglichen Befriedigung zu suchen, auch wenn ich mir im Augenblick nicht vorstellen kann, dass mein Mann z.B. eine andere Frau küsst oder meine Frau 4 Tage allein an die Ostsee fährt. Wenn da ein Widerstand ist, dann ergründet gemeinsam, worin dieser Widerstand besteht. Seid mutig auf der Suche nach Selbsterkenntnis. In der Fantasie ist alles erlaubt. Aber nicht jede Fantasie muss auch gelebt werden. Gönnt euch als Orientierung die Gewissheit des gegenseitigen Einvernehmens. 

Eine offene oder polyamore Beziehung bedeutet nicht, dass ich tun und lassen kann, was ich will. Schließlich geht es in der Liebe darum, in gute Beziehungen zu kommen und ich schade einer Beziehung erheblich, wenn ich unkontrolliert Grenzen missachte. Wenn deine Grenzen wiederholt missachtet werden, dann kann das ein Zeichen dafür sein, dass du nicht den richtigen Partner an deiner Seite hast oder die Konstellation nicht stimmt. Bitte nimm deine Grenzen ernst und äußere sie. Es geht nicht darum, dass die Polyamorie irgendetwas von dir verlangt oder zumutet. Du selbst bist der Maßstab und du selbst definierst deine Grenze. Mal ist die Grenze hier, mal ist sie dort. Wer A sagt, muss nicht B sagen. Und wer einmal A sagt, muss nicht erneut A sagen, wenn es aus subjektiven Gründen nun mal nicht stimmt. 

5. Hingabe- und Leidensbereitschaft

Trotzdem muss ich auch in der Lage sein, Situationen und unangenehme Gefühlszustände mal vorübergehend auszuhalten, an die Grenzen zu gehen und dort in Ruhe wahrzunehmen, was ich spüren und lernen kann. Es bedarf einer Hingabe- und auch einer gewissen Leidensbereitschaft, damit ich in der Lage bin, Neues zu entdecken und Vielfalt in mein Leben einzuladen. Es fühlt sich nicht alles immer toll an, aber ihr solltet immer wieder zusammen Einverständnis herstellen, was ihr für euch als positiv erlebt habt und was nicht. Verblüffenderweise ist ganz häufig das Schwere und Schmerzhafte im Leben von Menschen ganz besonders beeindruckend und positiv prägend. Also, hab keine Angst vor Schmerz, sondern greife mutig in die Dornen des Lebens. Die 3 goldenen Regeln zum Umgang mit Eifersucht können dir hierbei helfen.  

6. Trial & Error

In der Fantasie können sich Dinge aufregend oder im Gegenteil bedrohlich anfühlen. Aber erst, wenn du es ausprobierst wirst du fühlen, wie du das ganz persönlich wahrnimmst. Du kommst daher nicht drum herum, einfach mal was zu riskieren. Manchmal stellst du erst hinterher fest, ob etwas richtig oder falsch für dich war. Manchmal probieren Paare etwas aus, was für einen der Partner oder sogar für beide nicht gut war. Das ist ganz normal. Nimm es als Erfahrung. Schau, was ihr beim nächsten Mal anders machen wollt und halte dich nicht zu lange daran fest. Der Irrtum gehört zum Versuch dazu und manchmal tun Versuche weh. Shit happens.

7. Sexuelle Gesundheit in einer polyamoren Beziehung

Safer Sex ist ein Muss. Leider ist dieses Thema immer noch stark tabuisiert und zu viele Menschen gehen hohe Risiken ein. Mach dir bitte bewusst: Du trägst nicht nur für dich selbst Verantwortung, sondern auch für alle deine Sexualpartner*innen. Daher gilt: Sprecht über dieses Thema, lasst euch bitte regelmäßig testen und vor allem vermeidet ungeschützten Sex. Auch Oralverkehr ist bitte nur mit getesteten Personen erlaubt. Es ist nicht trivial und das Risiko ist real, wenn du das Thema nicht ernst nimmst. Also, frage am besten gleich am Anfang eines Dates: Wann war dein letzter Test und was hast du testen lassen? Eine einfache und unschuldige Frage, die dich schützen wird. Und bevor du irgendwelche Abenteuer startest: Ab zum Arzt und lass dich testen!

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