Warum Alleinsein eure Beziehung stärkt

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Es mag zunächst paradox klingen, dass Alleinsein auch das Zusammensein fördern kann. Aber tatsächlich ist das Alleinsein Teil einer effektiven Couple Care. Denn Zeit mit dir allein gibt dir die Gelegenheit, deine Gedanken zu ordnen und deine Gefühle wahrzunehmen. Du bekommst Zeit zum Reflektieren, über dich und euch.  Viele Menschen neigen dazu, sich in der Gegenwart von anderen sehr anzupassen und ihre eigenen Bedürfnisse hinten anzustellen oder einfach nicht mehr zu spüren. Das Alleinsein schafft einen Raum ohne all die Anforderungen, die andere an dich stellen. Und das ist hilfreich, damit du deine Bedürfnisse wieder “hören” kannst. Alleinsein ist auch dann besonders wichtig, wenn du sehr empathisch bist und oft automatisch die Perspektive anderer einnimmst. 

„Alleinsein ist nichts für mich…“ 

Ja, es stimmt: Menschen sind verschieden, was ihr Bedürfnis nach Zeit allein angeht. Aber alle brauchen wenigstens ein bisschen davon. Wenn du von dir selbst denkst, dass du sehr wenig oder gar keine Zeit allein brauchst, könntest du dir folgende Fragen stellen:  Hast du eventuell Angst davor, allein zu sein? Gibt es etwas, vor dem du flüchten möchtest? Falls du spürst, dass das etwas dran sein könnte, dann versuch behutsam bei dir selbst nachzufragen: Wovor habe ich denn Angst? Was will ich vermeiden? Für viele fühlt sich die intensive Beschäftigung mit sich selbst erstmal ungewohnt und sogar bedrohlich an. Aber mit dir selbst in Kontakt zu kommen, birgt große Chancen für deine Persönlichkeitsentwicklung und deine Beziehungen. 

Allein heißt nicht einsam

Vielleicht fühlst du dich automatisch einsam, sobald du mal allein bist. Auch hier lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Denn Einsamkeit und Alleinsein sind nicht dasselbe. Einsamkeit kann, muss aber nicht, mit physischem Alleinsein einhergehen. Einsamkeit ist ein Gefühl, wohingegen Alleinsein erstmal nur ein äußerer Umstand ist. Menschen fühlen sich oft einsam, obwohl sie von Leuten umgeben sind. Auch in romantischen Beziehungen kann man sich einsam fühlen. Wenn Verbindung und Zugehörigkeit fehlen, entsteht Einsamkeit – selbst wenn dein Partner oder deine Partnerin¹ direkt neben dir steht. Die Anwesenheit einer Person, zu der die emotionale Verbindung verloren gegangen ist, kann sich sogar viel einsamer anfühlen, als tatsächlich allein zu sein. Menschen in einer Beziehungskrise erleben dieses scheinbare Paradox häufig. 

Verbindung ist nicht Verschmelzung 

Gleichzeitig bedeutet Verbindung aber nicht ständiges Zusammensein. Die Idee der Verschmelzung webt sich als romantisches Klischee immer wieder durch Filme und Bücher. In Wirklichkeit ist das aber nicht erstrebenswert. Wenn Partner*innen zu sehr zum “wir” verschmelzen, fangen sie an, Verantwortung abzugeben: für ihre Bedürfnisse, ihre Zufriedenheit, ihre Ziele. Das überfordert auf Dauer jede Beziehung. Stell dir das vor wie zwei Bäume, die zu dicht nebeneinander gepflanzt wurden: zu wenig Nährboden, zu wenig Licht, zu wenig Platz zum Wachsen. 
Zu große Verschmelzung birgt auch die Gefahr, die gegenseitige sexuelle Anziehung zu verlieren. Denn Sexualität mag Neues. Wenn du aber 24/7 mit deinem Partner zusammen bist, wird er dir nicht mehr viel Neues bieten können. Mehr Alleinsein kann also auch helfen, die Waage zu halten zwischen Verbundenheit und Eigenständigkeit. Du kannst deine Zeit allein nutzen, um deinen Interessen und Hobbys nachzugehen. Das inspiriert und macht zufrieden – und diese guten Gefühle trägst du dann wieder in deine Beziehung. 

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Zeit für ein Update

Alleinsein erlaubt dir, die vielen neuen Informationen, die du ständig aufnimmst, zu integrieren. Das Gehirn braucht Zeit, um Gedanken, Gefühle und Erlebnisse zu verarbeiten. Dieser Prozess funktioniert oft besonders gut, wenn man allein ist. Denn dann kommen weniger neue Informationen rein. Deshalb ist wirkliches Alleinsein hierfür besonders hilfreich. „Allein“ in einer vollen U-Bahn zu sein, kann zwar auch schon eine gewisse Reflexion ermöglichen, aber der Input von außen stört dabei. Da wir soziale Wesen sind, nehmen wir all die anderen Menschen um uns herum weiterhin wahr und unser Gehirn bleibt zu einem großen Teil damit beschäftigt, diese Umgebungsinformationen zu scannen und auszuwerten. Bei einem Software-Update kann man das Gerät oder Programm meist nicht nutzen, bis das Update fertig ist. Für unser Gehirn empfiehlt sich das ebenso. 

Rituale erleichtern das Alleinsein

Manche Menschen merken schnell, wenn sie mal wieder allein sein müssen. Andere erst, wenn sie vollkommen erschöpft sind, ihre Partnerin anschreien, oder scheinbar aus dem Nichts anfangen zu weinen. Besonders für Menschen, die noch nicht so gut erkennen, wann sie Zeit allein brauchen oder die einen sehr vollen Terminkalender haben, bietet es sich an, Rituale zu schaffen. Mit Ritual meinen wir hier: feste Regeln plus Intentionalität. Diese simple Kombination gibt kleinen Handlungen Bedeutung. Sie erleichtern das regelmäßige Alleinsein, da sie dir Entscheidungen abnehmen. Ritualisiertes Verhalten heißt, dass du dich nicht jedes Mal wieder überwinden musst. Wichtig ist dabei, dass Rituale – im Gegensatz zu Routinen – besonders bewusst und mit viel Aufmerksamkeit vollzogen werden. Ein Ritual könnte zum Beispiel sein, dich in jeder Mittagspause für zehn Minuten allein auf eine möglichst ruhige Parkbank zu setzen. Oder dich jeden Abend für fünf Minuten zurückzuziehen und aufzuschreiben, wofür du an diesem Tag dankbar warst. Vielleicht zündest du dabei noch eine Kerze an oder nutzt einen besonderen Stift. Gestalte dein Alleinsein so angenehm wie möglich. Das sind kleine Startpunkte, um mehr Alleinsein in deinen Alltag zu integrieren. Rituale können natürlich auch größer sein. Du könntest beispielsweise regelmäßige „offline“ Zeiten einführen, in denen du keine technischen Geräte benutzt. Oder alle zwei Monate ein Wochenende allein in einer Berghütte verbringen. Die Möglichkeiten, genussvoll allein zu sein, sind endlos. 
Wie du also siehst, müssen allein und gemeinsam keine Gegensätze sein. Wenn ihr euer Alleinsein wertschätzt und pflegt, stärkt ihr damit nicht nur die Verbindung zu euch selbst, sondern auch zueinander.


¹ Im Sinne der besseren Lesbarkeit wird die männliche oder weibliche Form gewählt. Fühl dich unabhängig davon bitte angesprochen, wo es dich betrifft.

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